Diese Seite bearbeiten Links hierher Homo collector - der Mensch als Sammler Schwegel, Zwerch und Schweitzerpfeiff. Eine kurze Geschichte der kurzen Flöte Musikinstrumente - eine kleine Geschichte des Sammelns Bate Collection, Oxford: Hier darf gespielt werden Ein Augenschein bei Andrew Lamb, Curator Ulrich Halder Artikel erstmals erschienen in GLAREANA 2/2014 Das unscheinbare Backsteingebäude nicht weit vom alten Zentrum Oxfords würde man leicht übersehen, wäre da nicht die Hinweistafel in edlem Blau und schönster Times-Schrift: University of Oxford, Faculty of Music, Bate Collection of Musical Instruments. Das atmet Tradition und lässt im Innern edles Holz und Leder erwarten. Erst aber müssen wir den Eingang finden – ums Eck, dann eine Treppe hinunter, schliesslich eine Art Kellertüre mit Klingelknopf. Andrew Lamb, Kurator der Bate Collection, versieht heute persönlich den Hütedienst und begrüsst uns geradezu emphatisch: ‚Hello, welcome to the Bate! There is free admission, but pleeease do not touch the instruments!‘ Erster Eindruck: Kein Museum nach modernen Standards, sondern eher eine Art Schaulager mit raumhohen Wandvitrinen, gestopft voller Instrumente; dazwischen Cembali, Kesselpauken und ein Theremin; eine Treppe, die zu einer ähnlich möblierten Galerie hochführt. Mein Blick fällt bald auf eine Korridor-lange Vitrine, hinter deren Schiebetüren sich Hunderte von Flöten, Klarinetten und Oboen in Reih und Glied drängen. Wow, welcher Reichtum! Und alle diese Instrumente dürfen gespielt werden? So jedenfalls steht’s in den Statuten: ‚The Bate Collection exists to demonstrate the history and development of musical instruments and to encourage and permit the use of the instruments of former times and other places.‘ Mit dieser Zielsetzung steht die Bate Collection in Europas Museumslandschaft ziemlich alleine da. Wie steht es denn mit all den Risiken, welchen alte Instrumente ausgesetzt sind, wenn sie weiterhin gespielt werden? Zwar werden historische Streichinstrumente eifrig gehandelt, ausgeliehen und gespielt, und auch Jahrhunderte alte Tasteninstrumente – etwa jene der Sammlung Tagliavini in Bologna – dürfen weiterhin erklingen. Aber wie steht es mit Blasinstrumenten in Blech und Holz, die ja ganz anderen Einflüssen ausgesetzt sind? Darüber wollen wir Näheres von Andrew Lamb (Foto links) erfahren. Ulrich Halder: Andy, du betreust seit 12 Jahren diese einzigartige Sammlung. Wie kam sie denn zustande? Andrew Lamb: Nun, den Anfang machte die grosszügige Schenkung von Philip Bate, der seit den 30er Jahren vorwiegend Holzblasinstrumente sammelte und sie 1963 der Universität Oxford überliess. Später kamen als Geschenk oder Erwerbung weitere Sammlungen hinzu, manche davon aus den Kreisen der Galpin Society, zu deren Gründern Bate gehörte. Heute zählt die Sammlung gegen 2‘000 Instrumente, von denen wir hier etwa die Hälfte zeigen können. Der Schwerpunkt liegt bei den Holz- und Blechblasinstrumenten und umfasst so wertvolle Einzelstücke wie etwa Bressans Alt-Blockflöte von 1720 – Vorbild für viele heutige Barock-Flöten (Foto rechts) -, oder eine ungefähr gleich alte Oboe von Hendrik Richters. Tasten-, Streich- und Zupfinstrumente sind weniger vertreten, obwohl es auch darunter ganz wertvolle Objekte hat , z.B. das einzige erhaltene Cembalo von William Smith (um 1720), das wahrscheinlich noch von Händel gespielt worden ist. 1985 erhielt die Bate Collection zudem als Geschenk ein vollständiges javanisches Gamelan-Instrumentarium, das seither von der hierfür gegründeten Oxford Gamelan Society regelmässig genutzt und präsentiert wird. UH: Damit sind wir bei der zentralen Frage: Nach dem ausdrücklichen Willen ihres Gründers sollen ja die Instrumente der Bate Collection gespielt werden. Die Institution besteht nun seit bald 50 Jahren. Wie sind denn eure Erfahrungen mit dieser doch ungewöhnlichen Zielsetzung? AL: Ungewöhnlich? Musikinstrumente sind doch dafür da, um Töne zu produzieren! Da ist es doch eher ungewöhnlich, wenn sie in den meisten Museen nur still und stumm in ihren Glasschränken liegen dürfen. Philip Bate war als Radio- und Fernsehmann Zeit seines Lebens daran interessiert, zu kommunizieren. Dies wollte er auch mit und durch seine Instrumente. Musiker, Studenten und Öffentlichkeit sollten hören können, wie die Musik früherer Zeiten auf den damaligen Instrumenten klang, und zudem die Möglichkeit haben, dies durch eigenes Spielen auch ganz direkt zu erfahren. UH: Ist diese löbliche Zielsetzung aber nicht auch äusserst risikoreich, um nicht zu sagen unverantwortlich im Hinblick auf den historischen Wert der Instrumente? Öffentliche Museen – auch die Bate Collection hat ja diesen Status – sind doch gehalten, ihre kulturellen Schätze unbegrenzt für kommende Generationen zu erhalten. Dies ist doch wohl der hauptsächliche Grund, weshalb historische Museen ihre Objekte in aller Regel der ursprünglichen Nutzung entziehen und ‚stilllegen‘, um keine unnötigen Risiken einzugehen. AL: Ja, das ist tatsächlich ein Konfliktpunkt. In früheren Jahrzehnten wurde mit den Instrumenten der Bate Collection wohl auch etwas zu grosszügig umgegangen. Aber das hat sich in den letzten 15 Jahren geändert. Heute schauen wir viel genauer hin, wer und zu welchem Zweck unsere Instrumente benutzen will, und welche hierfür überhaupt in Frage kommen. UH: Kannst du das etwas genauer ausführen? AL: 1997 wurde Robert L. Barclay, ein renommierter kanadischer Konservator für Musikinstrumente beauftragt, die Situation der Bate Collection zu beurteilen und Empfehlungen abzugeben. Er schlug verschiedene bauliche Massnahmen vor, legte aber besonderes Gewicht auf eine fundierte und vollständige Inventarisierung der Instrumente. Denn nur so lasse sich objektiv beurteilen, welche Objekte in welcher Form genutzt werden können, ohne ihren historischen Wert unverhältnismässig zu gefährden. Zudem formulierte Barclay Richtlinien zur Auswahl des für den Unterhalt zuständigen Fachpersonals. UH: Nach welchen Kriterien soll denn über die Nutzung entschieden werden? AL: Jedes einzelne Instrument muss detailliert beurteilt werden. Dies bedingt hohe Fachkenntnis und eine möglichst lückenlose Datenlage. Barclay schlug einen Bewertungsraster vor, der drei Kriterien mit je fünf Stufen definiert: ‚Seltenheit‘ (einmalig bis ersetzbar), ‚Fragilität‘ (hoch bis tief) und ‚Zustand‘ (perfekt bis verändert). Jede Stufe wird mit einer Punktzahl bewertet, etwa beim Kriterium ‚Seltenheit‘ die Stufe ‚einmalig‘ mit 1 Punkt bis ‚ersetzbar‘ mit 5 Punkten. Die Punktzahlen in allen drei Kriterien-Kategorien werden dann addiert und ergeben ein Total zwischen 3 (einmaliges, höchst fragiles Instrument in perfektem Zustand) bis 18 (ersetzbares, wenig empfindliches Instrument in stark verändertem Zustand). Auf dieser recht objektiven Basis kann dann der Entscheid über die Nutzung gefällt werden: Instrumente mit niedrigem Punktetotal werden nicht oder nur zu sehr beschränkter und kontrollierter Nutzung freigegeben, und umgekehrt, mit allen Abstufungen dazwischen. Aber wie gesagt: Eine korrekte Einstufung erfordert genaue Kenntnisse und fachliche Erfahrung. UH: Das leuchtet ein. Aber hast du denn ähnlich objektive Kriterien für die Beurteilung der Studenten und Musiker, welche die Instrumente spielen möchten? Ich denke, dass doch auch auf dieser Seite Kenntnisse und vor allem Verantwortungsbewusstsein nötig sind. AL: Natürlich. Deshalb führe ich ein ausführliches Gespräch mit den Interessenten – vor allem, wenn sie von ausserhalb kommen und die Instrumente das Haus verlassen sollen -, lasse mir den Zweck der Ausleihe genau erklären und merke auch bald, ob da genügend Fachwissen und Verlässlichkeit vorhanden sind. Ich instruiere über den Wert und die Pflege des Instrumentes, entscheide über die Nutzungsdauer und halte dies alles in einem Vertrag fest. Zudem verlangen wir eine Depotgebühr zur Deckung allfälliger Reparaturen. UH: Wie häufig werden denn Instrumente ausgeliehen und wie sind deine bisherigen Erfahrungen? AL: Pro Jahr werden durchschnittlich 100 Mal Instrumente ausgeliehen oder im Haus benutzt – dabei zähle ich das häufige kurze Anspielen bei Führungen nicht. Neben einigen Cembali, die regelmässig hier im Haus benutzt werden, sind es vor allem Blechblasinstrumente, etwa Sax-Hörner, und verschiedene Geigen, die beliebt sind. Bei den Holzblasinstrumenten sind Blockflöte und Fagott die Favoriten. Meine Erfahrungen sind eigentlich sehr gut. In den 12 Jahren seit meiner Anstellung habe ich wohl über tausend Mal Spielerlaubnis erteilt und nur gerade in einem Fall Probleme wegen schlechter Behandlung des Instrumentes gehabt. UH: Das tönt sehr positiv. Welches Budget hast du denn für Reparatur, Pflege und Unterhalt der Instrumente zu Verfügung? AL: Nur gerade 11‘000 £ pro Jahr. Das reicht wohl für die Pflege der gespielten Instrumente, aber längst nicht, um alle übrigen, die hierfür in Frage kämen, wirklich spielbar zu machen. Aber das muss ja auch nicht sein; selbst nicht oder nur ungenügend spielbare Objekte haben ihren Wert als Studien- und Anschauungsobjekte – zumindest finden das unsere rund 8‘000 jährlichen Besucher. UH: Andy, kannst du uns noch etwas über deine Person erzählen? AL: Nun, ich bin 57jährig, spielte in der Jugend leidenschaftlich Waldhorn und ging ohne höheren Schulabschluss schon mit 15 Jahren zur Armee. Da diente ich während 10 Jahren als Artillerie-Korporal und Regimentstrompeter. Nach wechselnden Jobs absolvierte ich anschliessend eine 5jährige Lehre als Instrumentenmacher am damaligen London College of Furniture. Aus Interesse am Restaurieren alter Holzblasinstrumente arbeitete ich dann zwei Jahre am Horniman-Museum und schloss danach am Royal College of Art ein 3jähriges Master-Studium als Konservator ab. Nach mehreren Jahren an Museen und als Freiberufler wurde ich schliesslich 2002 zum Konservator der Bate Collection gewählt. Ich hoffe, hier auch noch ein Weilchen zu bleiben, denn ich liebe diesen Job und bin stolz, in der Nachfolge von Persönlichkeiten wie Philip Bate, Anthony Baines, Jeremy Montagu und Hélène La Rue tätig zu sein. UH: Hast du Pläne und Wünsche für die Zukunft? AL: Natürlich! Ich möchte den Bestand der Sammlung noch besser im Schuss halten, also alle Objekte besser pflegen und weitere geeignete Instrumente spielbar machen können. Zudem würden manche Vitrinen eine zeitgemässere Gestaltung vertragen. Dies braucht aber geeignetes Personal, und das kostet Geld. Für einfachere Aufgaben kann ich auf PraktikantInnen und Freiwillige zählen; das ist sehr erfreulich, aber genügt halt nicht. Zudem plane ich zusätzliche Angebote, um das Museum für das allgemeine Publikum attraktiver zu machen, etwa durch regelmässige öffentliche Rezitals von Musikern auf unseren Instrumenten. Schliesslich würde ich mir wünschen, dass sich noch mehr Studierende unserer Fakultät für die alten Instrumente interessieren und unser einzigartiges Angebot nutzen. Dafür wurde die Bate Collection ja schliesslich geschaffen! ★ ★ ★ Philip Bate (1909 – 1999), Gründer der Bate Collection, Oxford. Philip Bate wurde als Sohn eines Kunsthistorikers und einer musikliebenden Mutter in Glasgow geboren. Auch er interessierte sich für Musik, entschied sich aber zum Studium der Naturwissenschaften, insbesondere Geologie und Paläontologie. An der Universität in Aberdeen wirkte er bei Theateraufführungen mit und kam so mit der BBC in Kontakt. 1934 trat er in deren Dienst und wirkte bis 1939 als Studio Manager für Musikproduktionen. Nach dem Zweiten Weltkrieg, den er in der britischen Zensurbehörde zubrachte, wurde er von der BBC mit Musikproduktionen für das neu entstehende Fernsehen beauftragt. Hier tat er sich vor allem mit Live-Übertragungen von Konzerten und Ballettaufführungen hervor. Von 1956 bis 1967 schliesslich leitete er die BBC-interne Ausbildung. Seit seiner Jugend interessierte sich Philip Bate für Musikinstrumente. Eine erste alte Klarinette erwarb er aus seinem Taschengeld und durchstreifte regelmässig Flohmärkte, Börsen und Trödlerläden auf der Suche nach interessanten Objekten, wobei ihn besonders die Holzblasinstrumente faszinierten. Hier lernte er auch Kollegen mit gleichen Interessen kennen, etwa den Geistlichen Francis William Galpin, mit welchem ihn eine lebenslange Freundschaft verband. Galpin ermunterte ihn, seine naturwissenschaftliche Denkweise auch auf das Studium der alten Musikinstrumente anzuwenden. Später erwarb er auch beachtliche handwerkliche Fähigkeiten, was ihn zu Restaurierungen und dem Nachbau historischer Holz- und Blechblasinstrumente befähigte. 1946 gründete Philip Bate zusammen mit Freunden und Kollegen die Galpin Society for the study of musical instruments, welche er in den folgenden Jahren auch präsidierte. Bate schrieb in dieser Zeit zahlreiche Artikel für das Galpin Society Journal und veröffentlichte auch einige Bücher, etwa zur Geschichte der Oboe, der Trompete und der Flöte. 1968 hatte die Sammlung von Philip Bate den beachtlichen Umfang von rund 300 Holz- und Blechblasinstrumenten erlangt. Er überliess sie der Universität von Oxford unter der Bedingung, dass die Instrumente in die Verantwortung eines fachkundigen Kurators gelegt und interessierten Musikern und Studenten zum Studium und praktischen Gebrauch zur Verfügung stehen müssten, was ab 1970 Tatsache wurde. In den folgenden Jahren kamen zahlreiche bedeutende Einzelobjekte und Sammlungen – nicht zuletzt aus den Kreisen seiner Freunde in der Galpin Society – hinzu, sodass die Bate Collection heute über rund 2‘000 Objekte verfügt. Hoch geehrt, starb Philipp Bate am 3. November 1999. (Externe Bearbeitung)